Der jüngste Höhenflug vieler Kryptowährungen setzt sich fort. Am Freitag stieg die älteste und bekannteste Digitalwährung, der Bitcoin, bis auf rund 9800 US-Dollar. Das ist der höchste Stand seit gut einem Jahr. Auch andere Kryptowährungen wie Ether oder Bitcoin Cash legten weiter zu. Die Gesamtmarktkapitalisierung aller rund 2270 Kryptowährungen beträgt nun fast 300 Milliarden Dollar. Das ist etwa dreimal so viel wie Ende 2018, aber immer noch eine halbe Billion Dollar weniger als zu Spitzenzeiten Ende 2017.
Der Bitcoin profitiert zusammen mit anderen Kryptowährungen vor allem vom zunehmenden Interesse großer Investoren und Unternehmen an Digitalwährungen. Zum einen gibt es immer wieder Meldungen, dass größere Investmenthäuser ihren Kunden den Handel mit Digitalwährungen ermöglichen wollen. Dazu gehört mit Fidelity einer der größten Vermögensverwalter der Welt.
Hinzu kommt das große Potential, das gegenwärtig in der der von Facebook geplanten Kryptowährung namens „Libra“ gesehen wird. In dieser Woche hatte das soziale Netzwerk mit 2,3 Milliarden Nutzerkonten konkrete Pläne vorgestellt. Die Unterschiede zu bestehenden Kryptowährungen, insbesondere zum „Urgestein“ Bitcoin, sind allerdings groß. Die Analysten der BayernLB etwa sind der Ansicht, dass Libra im Grunde keine neue Kryptowährung ist, sondern einem Zahlungssystem wie Paypal näher kommt.
Die „permissioned“ Blockchain, auf der der Libra-Coin laufen wird, soll von allen Firmen betrieben werden, die sich der gemeinnützigen Organisation „Libra Association“ mit Sitz in der Schweiz anschließen, die extra von Facebook ins Leben gerufen wurde. Momentan sind das inklusive Facebook 28 an der Zahl, bis zum offiziellen Start des Ökosystems im Sommer 2020 sollen es aber bis zu 100 Mitglieder werden.
Dass das Ökosystem des Libra-Coins von vielen verschiedenen Mitgliedern betrieben und untereinander überprüft werden soll (jedes Mitglied soll nur eine begrenzte Prozentzahl an Stimmrecht bei der „Konsensus-Bildung der Blockchain haben), ist zwar löblich, da es für mehr Sicherheit und Betrugsschutz sorgt, es ist aber weit entfernt von dem wirklich dezentralen Charakter, den beispielsweise die Blockchain des Bitcoin besitzt, bei der 100.000 und mehr verschiedene Akteure auf der ganzen Welt an das System angeschlossen sind und dieses jeweils verifizieren.
Auch die angekündigten KYC (know your customer) und AML (anti money laundering) Verfahren, bei denen die Kunden ihre Personal-IDs angeben müssen, sind dem dezentralen Zweck einer Blockchain entgegengesetzt. Zugegeben – ohne diese Verfahren funktioniert in der traditionellen Wirtschaft, gerade im internationalen Bereich, nicht viel. In der Blockchain-Welt werden bereits eine Menge Projekte in Angriff genommen, die genau diese Brücke zwischen Schutz der Privatsphäre und Personen-Verifizierung lösen wollen. Für Facebook ist es jedoch derzeit noch notwendig und sinnvoll, sich an die gängigen Verfahren zu halten. Das Unternehmen hat betont, eng mit den Behörden und Regulatoren zusammenarbeiten zu wollen, um eine reibungslose Etablierung seines Projektes voranzutreiben. Dennoch zeigen sich Politiker wie Zentralbanken extrem nervös, angesichts dessen, was mit dem Facebook-Projekt auf sie zu kommt.
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Trotz teils erheblicher Unterschiede in den Konzepten profitieren auch bestehende Digitalwährungen von den Plänen Facebooks. Seit Jahresbeginn hat etwa der Bitcoin um knapp 170 Prozent zugelegt, seit dem Zwischentief im Dezember hat sich der Kurs gar mehr als verdreifacht. Das Rekordhoch von 20.000 Dollar, erreicht Ende 2017, liegt jedoch deutlich höher. Der heftige Absturz, der darauf folgte, war unter anderem auf Regulierungsbestreben vieler Länder zurückzuführen. Seit einigen Monaten steigt der Bitcoin-Kurs aber wieder.
Die Frage, die man sich stellen muss: Wenn der Facebook-Coin funktioniert, wozu braucht man dann noch Bitcoin? Um diese Frage beantworten zu können, muss man zunächst schauen, was Libra für ein Potenzial hat: Facebook hat mehr als 2 Milliarden Nutzer, die alle mit dem Coin zumindest ansatzweise in Berührung kommen werden. Zudem wurde durch die vielen Mitglieder, die sich bereits der Libra-Association angeschlossen haben (und es werden mit Sicherheit noch einige mehr dazu kommen), das Fundament für ein gigantisches, weltweites Ökosystem gelegt, sodass der Coin direkt für diverse Zahlungen in diversen Marktfeldern verwendet werden kann. Beispiele wären Fahrdienste wie Uber, Finanzdienste von Mastercard, Visa und Co, Handy-Verträge bei Vodafone und so weiter (denn alle diese Firmen sind Teil der Libra-Association).
Ein weiterer, fundamentalerer Faktor: Libra wird für Kunden in einigen Ländern auf ganz genreller Ebene ein wesentlich besseres Finanzsystem darstellen, als sie bisher zur Verfügung stehen haben. Damit sind nicht nur Dritte-Welt-Länder beispielsweise in Afrika gemeint, die diesbezüglich besonders unter einer schlechten Infrastruktur zu leiden haben, sondern auch Länder wie Venzuela, oder auch die Türkei, deren Währungen zur Zeit eigentlich nur eine Richtung kennen: Den Weg in die grenzenlose Inflation.
Die Brücke, die jeweilige Währung in Libra umzutauschen, wird relativ einfach sein, und ist man einmal im Libra-Ökosystem drin, fällt es leichter Dinge wie die Uber-Fahrt oder sogar den Supermarkt-Einkauf direkt in Libra zu bezahlen. Sogar eine Gehaltszahlung in Libra wäre in einigen Ländern denkbar.
Bitcoin strebt zwar auch genau diese Lösung an, jedoch ist es wesentlich schwerer, sein Geld in Bitcoin umzuwandeln, als in Libra, da man Zugang zum Bankensystem braucht. Facebook hat bereits durchscheinen lassen, dass es in einigen Ländern sogar Dienstleister geben wird, die selbst Bargeld gegen den Libra-Coin umtauschen werden. Somit sind die Eintritts-Barrieren in das Ökosystem so gering wie irgend möglich. Selbst viele Menschen, die immer noch keinen Zugang zu einem Banksystem haben, besitzen mittlerweile Smartphones und haben somit Zugang zu Libra.
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Keineswegs. Denn: So vielversprechend das Facebook-Projekt klingt, wirklich dezentral ist es nicht. Facebook ist in der Vergangenheit öfter wegen der Verletzung der Privatsphäre seiner Nutzer in Ungnade gefallen, oder auch Dinge wie der Cambridge-Analytica-Vorfall haben der Reputation des Unternehmens nachhaltig geschadet. Zudem wird Facebooks gigantische Daten-Macht und weltweite Vernetzung nicht nur von den Regulierungsbehörden kritisiert. Will man wirklich, dass ein privater Konzern – und sei es auch über eine gemeinnützige Organisation, in der sich die Macht zwischen den Firmen geteilt wird, – eine eigene Weltwährung betreibt und so starken Einfluss auf die globale Wirtschaft ausübt? Wahrscheinlich eher nicht. Facebook hat zwar verlauten lassen, dass die Libra-Blockchain irgendwann komplett dezentral gemacht werden soll, aber ob das wirklich so eintreffen wird, weiß niemand.
Angesichts der oben beschriebenen Dinge kommen die Stärken des Bitcoin wieder voll zum tragen: Er bietet die unabhängige, dezentrale Alternative, also das, was Facebook nicht wirklich bieten kann. Sogar der Libra-Coin selbst könnte dem Bitcoin zu weiterer Adaption helfen, denn: Die über 2 Milliarden Facebook-Nutzer kommen mit der Thematik Kryptowährungen in Berührung – Selbst wenn nur 2 Prozent der Nutzer sich dadurch mit dem Bitcoin beschäftigen, wäre das eine größere Zahl, als es momentan Bitcoin-Wallets auf der ganzen Welt gibt.
Zudem wird der Libra-Coin durch seine einfachere Zugänglichkeit allen Leuten den Zugang zum Bitcoin ebenfalls vereinfachen. Das Libra-Protokoll ist Open Source – heißt: jeder kann die Libra-Technologie in seine eigene Infrastruktur integrieren. Das ist in erster Linie dazu gedacht, damit Händler einfach in das Ökosystem einsteigen können. Es wird aber auch den Krypto-Börsen ermöglichen, den Libra in ihre Exchanges aufnehmen zu können, sodass er ganz normal mit anderen Trading-Pairs wie Bitcoin oder Ethereum gehandelt werden kann. Es wäre sogar denkbar, das Libra ein neuer Stablecoin im Krypto-Ökosystem wird, da er durch traditionelle Devisen gedeckt werden soll und somit eine Wertstabilität sichergestellt werden soll.
Alles in allem bietet der Libra für den Bitcoin mehr Potenzial als Bedrohung, die Zentralbanken und Devisen wie beispielsweise der Dollar blicken bei Libra jedoch einer ernstzunehmenden Konkurrenz gegenüber.
Von Alexander Mayer mit Material von dpa-AFX
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