"Sell in May and go away" - Was ist dran?
von Apostolos Tsiter, am Freitag, 22.4.2016
Jedes Jahr unmittelbar vor den Sommermonaten ertönt die alte Börsenweisheit "Sell in May and go away". Warum Anleger damit sowohl falsch wie auch richtig liegen.
Der April neigt sich dem Ende entgegen, der Mai rückt näher und damit wächst die Nervosität. Zumindest unter den Anlegern, die Börsenweisheiten nicht als folkloristische Überbleibsel vergangener Tage belächeln. Diese Anleger kommen Ende April regelmäßig ins Grübeln. Denn dann heißt es wieder: „Sell in May and go away“.
Hintergrund dieser Börsenweisheit sind Beobachtungen, nach denen die Aktienmärkte saisonalen Schwankungen unterliegen. Im historischen Rückblick zeigt sich, dass die Kurse in den Wintermonaten stärker zulegten als in den Monaten Mai bis September. Mehrere Untersuchungen haben diesen Effekt beobachtet.
Für den wichtigen US-Index S&P 500 zeigt eine Statistik eine deutlich bessere Performance in der Winterhälfte. Über einen Beobachtungszeitraum von 36 Jahren hinweg konnte der S&P 500 demnach in den Wintermonaten im Schnitt monatlich um 1,3 Prozent zulegen, während er in der Sommerhälfte nur auf ein Plus von 0,3 Prozent kam. Auch für den deutschen Aktienmarkt gibt es Studien, die es ratsam erscheinen lassen, in den Sommermonaten größere Vorsicht bei Investitionen an den Börsen walten zu lassen.
Besonders deutlich war dieser Effekt im Börsenjahr 2014/2015 zu beobachten. Anfang Oktober 2014 stand der Dax bei 9382 Punkten und kletterte innerhalb von sechs Monaten auf 12.086 Zähler – ein sattes Plus von 29 Prozent. Bis Mitte April hielt der Aufwärtstrend an. Seinen höchsten Schlussstand markierte der deutsche Leitindex bei 12.375 Punkten.
Ende April jedoch schwenkte der Index langsam auf eine Abwärtskurs ein, bewegte sich im Mai noch meist seitwärts in einer Spanne zwischen 11.400 und 11.800 Punkten, bis es im Juni leicht, im August rasant abwärts ging. Ende September stand der Dax bei 9660 Punkten – allein seit Anfang August hatte der Dax 17 Prozent an Wert verloren.
Hier zeigt sich ein Muster, das in den vergangen Jahren häufig zu beobachten war. Die Kurse purzeln meist nicht im Mai oder Juni besonders stark, sondern in den Monaten August und September. Eine Erholung setzt meist Oktober ein. Der beste saisonale Verkaufszeitpunkt liegt damit nicht im Mai, sondern eher im Juli – wenn es einen optimalen saisonalen Verkaufszeitpunkt überhaupt gibt.
Geschichte wiederholt sich nicht, zumindest nicht an der Börse, jedenfalls nicht in diesem Jahr. Anders als im Vorjahr hat der Dax von Oktober 2015 bis Ende März 2016 keinen Höhenflug hingelegt. Bis Ende November ging es zwar noch aufwärts, dann jedoch folgte der Absturz. Unterm Strich stand in dieser Winterhälfte nur ein vergleichsweise mageres Plus von nicht mal 5 Prozent.
Kräftig zugelegt hat der Dax erst in den vergangenen Tagen. Seitdem ist die Zahl der Optimisten unter den Anleger merklich gestiegen. Wenig spricht derzeit dafür, das Investment an den saisonalen Entwicklungen der Vergangenheit auszurichten. Wer geeignete Kauf- und Verkaufszeitpunkte suchte, sollte nicht nur Saisonmuster im Blick haben, sondern fundamentale und charttechnische Faktoren im Blick behalten.
Besser ist es ohnehin auf langfristige Trends zu setzen, als kurzfristigen saisonalen Schwankungen hinterher zu hecheln. Denn jede Umschichtung kostet Geld, und das schmälert irgendwann auch die schönste Performance.
Oder wie es eine andere Börsenweisheit auf den Punkt bringt: Hin und her macht Taschen leer.
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